Wenn die Seele durch den Körper spricht
"Das ist psychosomatisch." Für viele Betroffene klingt dieser Satz wie ein Urteil. Als würde man ihnen sagen: Das bildest du dir ein. Deine Schmerzen sind nicht real. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Psychosomatische Beschwerden sind so real wie ein gebrochener Knochen. Nur ihre Ursache liegt tiefer.
Die moderne Medizin hat lange versucht, Körper und Psyche getrennt zu betrachten. Für den Körper war der Internist zuständig, für die Seele der Psychiater. Die Schweizerische Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin setzt sich für ein ganzheitliches Verständnis ein. Denn diese Trennung entspricht nicht der Realität. Jeder, der schon einmal vor Aufregung Bauchschmerzen hatte oder vor Angst einen trockenen Mund, weiss: Körper und Psyche sind untrennbar verbunden.
Der Körper als Bühne der Seele
Wenn wir Gefühle nicht ausdrücken können oder wollen, suchen sie sich andere Wege. Der unterdrückte Ärger wird zur Verspannung. Die nicht geweinte Trauer zum Klossgefühl im Hals. Die verdrängte Angst zur Atemnot. Der Körper wird zur Bühne, auf der sich abspielt, was im Bewusstsein keinen Platz findet.
Das ist ein natürlicher Schutzmechanismus. Die Psyche lagert aus, was sie gerade nicht verarbeiten kann. Das Problem entsteht erst, wenn dieser Zustand chronisch wird. Wenn der Körper dauerhaft kompensieren muss, was die Seele nicht bewältigt.
"Der Körper ist das Unbewusste selbst. Er weiss Dinge, die der Verstand noch nicht begriffen hat."
Wege zur Integration
Die gute Nachricht: Was der Körper gelernt hat, kann er auch wieder verlernen. Psychosomatische Beschwerden sind keine lebenslangen Urteile. Sie sind Einladungen, genauer hinzuschauen. Zu fragen: Was will mir mein Körper sagen? Welches Gefühl drückt sich hier aus? Welche alte Erfahrung wird hier reaktiviert?
Diese Arbeit erfordert oft professionelle Begleitung. Nicht weil man es alleine nicht schaffen könnte, sondern weil man für die eigenen blinden Flecken einen Spiegel braucht. Die klinische Hypnosetherapie hat sich als besonders wirksam erwiesen, um an die unbewussten Schichten zu gelangen, in denen psychosomatische Muster entstehen.
Der erste Schritt: Verstehen statt Verdrängen
Viele Menschen mit psychosomatischen Beschwerden haben eine lange Odyssee hinter sich. Von Arzt zu Arzt, von Untersuchung zu Untersuchung. Immer auf der Suche nach der körperlichen Ursache, die sich nicht finden lässt. Die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie bestätigt, dass funktionelle Beschwerden häufig sind. Die Erleichterung, wenn alle Befunde negativ sind, mischt sich mit Frustration: Wenn nichts gefunden wird, warum geht es mir dann so schlecht?
Der erste Schritt ist oft der schwierigste: Anzuerkennen, dass die Beschwerden real sind, auch wenn keine organische Ursache vorliegt. Dass der Körper nicht lügt, sondern eine Wahrheit ausspricht, die wir noch nicht verstanden haben. Wer unsicher ist, ob die eigenen Beschwerden psychosomatische Anteile haben könnten, findet in einem strukturierten Selbsttest erste Orientierung.
Psychosomatik ist kein Stigma. Sie ist eine Einladung zur Ganzheit. Zur Integration von Körper und Seele, von Denken und Fühlen, von Bewusstem und Unbewusstem. Wer diese Einladung annimmt, betritt einen Weg, der nicht nur die Symptome lindert, sondern das ganze Leben verändern kann.
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